Sehr geehrte*
Am 26.11. werden Sie im Innenausschuss über die dritte Option des Personenstands diskutieren, die mich persönlich betrifft.
Bitte nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit, damit ich Ihnen erläutern kann, warum die aktuelle Vorlage mich und viele andere ohne triftigen Grund ausschliesst.
Ich bin eine „nicht-binäre Transperson“. Trans bedeutet bei mir, dass ich von Kindheit an mit dem mir zugewiesenen Geschlecht nicht klar gekommen bin. Die Erwartungen und Vorgaben an Rollenverhalten, Umgangsformen und Interessen, ausgedrückt auch durch Präsentation, Auftreten, Kleidung, waren für mich immer fremd, belastend und meiner Natur widerstrebend.
In einer von “männlichem” Verhalten geprägten Umgebung fühlte ich mich nie als Teil, sondern wie ein geduldeter oder getarnter Fremdkörper. Situationen, in denen ich aufgrund der offiziellen Zuweisung als “männlich” behandelt werde, bzw. mich entsprechend geben soll, empfinde ich als bedrückend wegen der ständigen Achtsamkeit, eine mir fremde Rolle darzustellen.
Meine Versuche, mich stattdessen dem “weiblichen” Rollenmodell anzunähern, führten zum gleichen Ergebnis: Ich bin weder in der “männlichen”, noch der “weiblichen” Gruppe zuhause. Eine binäre Transition zu “weiblich” nach dem TSG wäre für mich daher keine Verbesserung.
Circa ein Drittel aller Personen mit Geschlechtsinkongruenz, also „trans“, ordnet sich wie ich dauerhaft weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zu. Quelle: S3-Leitlinie zur Behandlung von Trans*personen, 2018. Die Zahlen sind übrigens weltweit ziemlich einheitlich.
Das heisst, wir gehören zu der vom BVerfG-Urteil zur dritten Option definierten Gruppe, ohne dass wir von Geburt her medizinisch quantifizierbare Merkmale von Intersexualität aufweisen.
Die Anerkennung im Personenstandsrecht als „divers“ wäre für viele von uns eine große Erleichterung im Alltagsleben, bei Behörden und Institutionen, und würde ausserdem endlich unsere schiere statistische Sichtbarkeit erhöhen.
Leider ist für uns die dritte Option weder nach dem „Transsexuellengesetz“ (TSG) möglich, noch über den aktuellen Gesetzentwurf, denn das TSG kennt nur binäre Transition (männlich/weiblich) und das neue Gesetz macht die dritte Option an körperlichen Merkmalen („Chicagoer Konsens“) fest, obwohl dies im BVerfG-Urteil nicht so eingeschränkt wird.
Dadurch entsteht die absurde Situation, dass nicht alle Inter*personen (=medizinische Indikation) die dritte Option wollen, während nicht-binäre Trans*personen (=keine Inter*diagnose) sie wegen der Attestpflicht und Einschränkung auf den medizinischen Katalog nicht bekommen können.
Wenn ein gleichwertiger dritter Personenstand zu männlich und weiblich existiert und nachweislich ein Drittel aller Trans*personen sich in genau diesem wiederfinden, ist deren Ausschluss sicher weder verfassungskonform, noch sinnvoll. Zum gleichen Ergebnis kommen auch verschiedene Jurist*innen in schriftlichen Einschätzungen.
Sollte das Gesetz so beschlossen werden, wird natürlich dagegen geklagt werden und die Aussichten sind positiv: Selbst das überalterte TSG erkennt an, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität und ohne physische Diagnose das soziale Geschlecht, den Personenstandseintrag wechseln können, unabhängig von allen medizinischen Maßnahmen.
Ich bitte Sie deshalb, bei der Anhörung und den Beratungen zur dritten Option zu bedenken, dass der Personenstand auf die geschlechtliche Identität und das Alltagsleben einer Person reflektiert, nicht auf körperlich-medizinische Merkmale, und der aktuelle Entwurf leider viele Betroffene ausschliesst.
Es wäre für alle, auch Gesetzgebung und Gerichte, viel einfacher und würde niemandem etwas nehmen, wenn die dritte Option für alle, ohne medizinisches Attest möglich wäre, zum Beispiel mit einer psychosozialen Beratung für informierte Entscheidung.
Mit freundlichen Grüßen,
Kai